31. Dezember 2013
Jahresende 2013. - Jahresanfang 2014.
Im hell scheinenden Licht von Fryslân. Sonnenstrahlen
leuchten zwischen den Wolken, zwischen den Schwärmen der Gänse und Enten. Sie
fliegen hin und her in langen Linien. Sie verschieben ihre Reise nach Mallorca.
Sie bleiben da. Sie knatschen. Sie sind still und bleiben an den Grachten
hocken, als das Karbidschießen im Dorf beginnt. Ab acht Uhr, vorher schon überall
in der Nacht. Im Fernsehen sah ich einen Film über die niederländische Flotte
zu Zeiten des Marquis James Graham von Montrose, zeitweise Generalstatthalter
der Niederlande, Sohn des Heinrich Friedrich v. Oranien und über Wilhelm II von
Oranien, der als Herrscher der Niederlande und dann König von England später
dann alles in Ordnung brachte: Zuvor tobten die Seeschlachten vor New York, vor
der Niederländischen Küste, im Nordmeer. Spanier, Franzosen, Engländer und
Niederländer: meins, meins, meins. Nein, meins. Die Spanier blieben irgendwann
schließlich zu Land und zu Wasser in Spanien, die Franzosen hörten auf zu
versuchen zu Lande in Spanien einzufallen, auch um Cassel gab es keine
Schlachten mehr. New York übergaben die Niederländer den Engländern und bekamen
dafür Surinam. Wilhelm von Oranien heiratete klug nach Great Britain und bedung
sich aus, nach dem Tod seiner Frau, einer Marie, in England regieren zu dürfen.
So wurde alles gut. Beim Karbidschießen aber zieht noch einmal Pulverdampf über
die Dörfer und es klingt wie bei einer mächtigen Seeschlacht vor New York.
Im Fernsehen sah ich auch Frau Merkel, zwei Fahnen,
Blumenschmuck und die Kanzlerin in gedecktem Goldjackett. Sie sagte, es kommt
auf jeden Einzelnen an. Sie sprach ohne Rautezeichen. Die niederländische
Königin Beatrix betonte vor Jahren in einer ihrer Ansprachen, dass die Overheid
nicht alles regeln kann, dass jeder Einzelne sich um seine Nachbarn kümmern,
die Augen offenhalten, Verantwortung übernehmen muss. Klang alles sehr streng
und protestantisch reformiert. Die Ermahnung der Königin erreichte mich; die
Kanzlerin gab sich Mühe, aber ich hörte die Subtexte dieser Regierung: Wer
betrügt, der fliegt. Flüchtlinge sind unerwünscht, Einwanderer auch, selbst
wenn die Industriebosse sagen: Wir brauchen Einwanderer. Immer möchten die
Bewohner dieses großen Landes mitten in Europa lieber unter sich bleiben und
immer möchten diese Deutschen anderen beibringen, wie das Leben geht: Wir
erleben den Versuch einer Germanisierung über das Geld. Der letzte Krieg hat es
nicht gebracht, warum nicht über Ökonomie anderen die Tugenden beibringen. Frau
Merkel hat zum Schluss noch gelächelt und mit einem Auge gezwinkert – ich habe
es gesehen. Verehrte Angie, ich bleibe trotz Zwinkern mit einem Bein in den
Niederlanden, das ist mir bei meiner Familiengeschichte sicherer.
Kurz vor Mitternacht trat am Brandenburger Tor ein
deutscher Untoter auf im schwarzen Mantel, mit Sonnenbrille und bleichen
Haaren, junge Mädchen wippten mit Fähnchen zu einem Text wie: Der Knabe war so
süß. Berlin 2014. Deutschland. Europa. Heino. Warum hat dann nicht lieber Herr
Kohl dort auf der Bühne im Rollstuhl gestanden und gesungen: Kein schöner Land
zu dieser Zeit? Oder alle zusammen: Der Mond ist aufgegangen.
Die Dorfkirche schlug zwölf Mal, im dünnen protestantischen
Glockengeläut, der Himmel färbte sich in allen Regenbogenfarben. Die
Seeschlacht zu Ee wurde im Karbonitschießen beendet. 2014. Die Ersten liefen
über die Straße. Spät in der Nacht knatschten wieder die Gänse und Enten. Und
da Sturm aufkam, flogen Möwen übers Haus.
Und am 1. Januar gab es
diesen Text: Was wäre wenn die Droste und Emily Dickinson sich gekannt hätten?
Die Dichterinnen der Gedankenstriche, die weder lebten, wie sie wollten, noch
alles sagen konnten – also Gedankenstriche:
Emily schreibt der Droste (erfunden):
Ich sag dir, was ich gezahlt. Hundert Jahre.
Ich sag dir, was ich bekomme. Ich lalle und kichere.
Ich sag dir, was ich gezahlt. Eine Existenz.
Ich sag dir, was ich bekomme. Haut abgezogen, Schlitze reingeschnitten und einen Himmelsblick.
Ich sag dir, was ich tue: Ich schaue von innen durch die Löcher in meiner Menschenhaut und reise jeden Tag quer über die Pole.
Ich sag dir, draußen vergeht das Leben und wir sitzen herinnen, gehen im Kreis und lassen uns den Atem rauben.
Ich sag dir, was ich bekomme. Ich lalle und kichere.
Ich sag dir, was ich gezahlt. Eine Existenz.
Ich sag dir, was ich bekomme. Haut abgezogen, Schlitze reingeschnitten und einen Himmelsblick.
Ich sag dir, was ich tue: Ich schaue von innen durch die Löcher in meiner Menschenhaut und reise jeden Tag quer über die Pole.
Ich sag dir, draußen vergeht das Leben und wir sitzen herinnen, gehen im Kreis und lassen uns den Atem rauben.
Die Droste wird ihr antworten. Im Konjunktiv. Mit
Gedankenstrichen.
©
J. Monika Walther