Mittwoch, 7. November 2018

Wenn Dörfer nicht mehr leben können



 
GESCHLOSSEN


2018-11-07

            Veränderungen beginnen selten schlagartig. Oder Knall auf Fall. Wenn sie bewusst werden, dann haben sie schon viel früher begonnen. Heute erleben wir die Folgen des 1. Weltkrieges, heute begreifen wir, was der Dreißigjährige Krieg verursachte. Heute legen wir das Feuer an Zündschnüre, deren Sprengkraft und Länge wir noch gar nicht kennen, auch wenn wir schon auf dem Mond herumgehüpft sind und auf den Mars wollen.
            Mit Veränderungen meine ich also nicht die Jahreszeiten. Die Farben des Himmels. Obwohl sie ein gutes Beispiel dafür sind, wie Veränderungen geschehen. In Fryslân, an der Lauwerszee. Jetzt im Herbst gibt es an manchen Tagen über dem Nordmeer dieses Grau, in dem ein warmes Blau und die Sonne schimmert und das, wie ein Geheimnis, sich vom Wasser zum Land hin ausbreitet. Je mehr der Herbst in den Winter übergeht, wird dieses Grau farbloser, dunkler. Kälter. Um im Frühjahr wieder zu leuchten.
            Das große Wort Klimawandel zeigt sich in Fryslân in kleinen Dingen. Im Herbst werden immer alle Wassergräben, Grachten, Kanäle ausgehoben, verbreitert, das Schilf geschnitten. Nachdem im letzten Winter die Felder überschwemmt waren, werden in diesem Herbst noch mehr Abflussrinnen und Gräben gebaggert. Und: Wer in den Himmel schaut, sieht keine endlosen Schwärme von Gänsen, Schwänen und Enten. Nichts ist zu hören an Quaken und Diskussionen: Wann fliegen wir, wie weit und wohin. Es wird nicht geflogen. Alle bleiben in Fryslân. Der Himmel füllt sich nur, wenn ein Schwarm das Feld, eine Wiese wechselt.
            Veränderungen: In Fryslân waren immer die christlichen Parteien die Gewinner und tonangebend. In Amsterdam und im Süden schimpften die Leute nach den Wahlen auf die Bauern im Norden. Inzwischen werden kunterbunt alle Parteien gewählt, auch die Rechten. An den Unabhängigkeitsplänen wird nicht nur von der Fryske Nasjonale Parti gearbeitet. Den unabhängigen Radiosender Omrop Fryslân finden alle wichtig, auch die eigenständigen lokalen Fernsehnachrichten. An der Spitze der Provinz steht der Kommissar des Königs. Seit März 2017 ist das der Rechtsliberale Arno Brok. Das college van Gedeputeerde Staten, also die Regierung, wird seit 2015 von einer Koalition aus CDA, VVD, SP und FNP gebildet. Im März 2019 sind die nächsten Wahlen und wahrscheinlich wird noch weiter nach rechts gerückt. Warum? 




            Weil sich manchmal auch das Falsche verändert? Die Straßen werden in Fryslân immer besser, selbst im letzten Dorf, in dem es nichts mehr gibt außer den Einheimischen, werden neue Randsteine gelegt, die Bürgersteige verbreitert, die Kreuzungen rot gepflastert, Buchten gebaut, damit der Verkehr (welcher?) ausgebremst wird. Aber der Leerstand der Häuser, die Unverkäuflichkeit nehmen in den Dörfern wieder zu. Trotz der vielen kleinen Jachthäfen, der Touristen in den künstlich geschaffenen Resorts, trotz der zunehmenden Bohrungen nach Gas kommt kein Geld in die Dörfer, entstehen nirgends mehr Arbeitsplätze. Die einzige Innovation ist, dass sich das Angebot der alkoholischen Getränke veränderte: Statt der vielen wunderbaren Sorten Genever gibt es nun Gin und Whisky. Und zwar in Ein- und Zweiliterflaschen, weil die englischen Touristen mehr trinken. Es gibt in den Dörfern eine Sehnsucht nach einem Leben, das vorbei und auch nicht mehr herzustellen ist. Und das Neue hat bis jetzt erkennbar nichts Liebenswertes und Verbindendes. Außer diesen Straßen.
            Veränderungen vor den eigenen beiden Haustüren: Im Humaldawei (in den Niederlanden) gibt es einen neuen Nachbarn. Vor fünfzig Jahren, als Piet und Ans noch der ganze Grund gehörten, trotteten abends vierzehn Kühe in den Stall. Dann waren es elf, dann sieben. Dann reichte die Arbeit weder fürs Sterben noch fürs Leben noch für Veränderungen in die neue Zeit. Also wurde das winzige Knechtshaus verkauft. An mich. Eine Veränderung, aber ich hörte auf Ans, und wenn sie im Frühjahr sagte, jetzt wird gestrichen, strich auch ich die Balken, Holzeinfassungen der Dachrinnen, die Türen. Es dauerte Jahre, bis wir endlich bei der gleichen Farbe angelangt waren. Piet starb, Ans wollte weg. Sie war das karge Leben leid. Es gab neue Nachbarn mit anderen Sorgen und Gewohnheiten. Sie zogen Zäune, pflanzten, wollten ein kleines Paradies schaffen, aber das misslang aus vielen Gründen. In den letzten Jahren wuchs der Efeu über die Dächer, die Bäume wurden immer größer, die Büsche wucherten. Viel zu viel alles. Der neue Nachbar räumt auf und auf einmal erinnert der Hof wieder ein bisschen an früher. Es wird Platz. 

            In Hiddingsel (im Münsterland) gab es vor Jahren einen Dorfentwicklungsplan. Auf den ausgewiesenen Gewerbeflächen sollten kleine Gewerbetreibende sich ansiedeln. Es kam aber anders. Ein Klavierbauer schuf Arbeitsplätze und ein Händler von Reisemobilen verbrauchte fünfundsiebzig Prozent der Fläche. Da er der größte Händler in Deutschland werden will, will er expandieren. Will er mehr Platz, will er Land von der Kirche, will er, dass die Stadt das als Gewerbegebiet ausweist. Das bedeutet noch mehr Verkehr im Dorf. Nun ist das Dorf gespalten. Eine Bürgerinitiative wurde gegründet. Es gibt Unterstellungen. Vielleicht gibt es eine Normenkontrollklage. Es wird übereinander, und nicht mehr miteinander geredet. Niemand spricht darüber, wie das Leben im Dorf später sein soll.
            Veränderungen sind selten auf eine Ursache zurückzuführen. Viele geschehen aus wer weiß was für Gründen, die irgendwem nützen. Möglich ist es aber, sich selbst zu verändern und dadurch etwas in Gang zu bringen. Ich hoffe es für mich. 


© J. Monika Walther

Donnerstag, 24. Mai 2018

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Quellenangabe: eRecht24

Dienstag, 27. Februar 2018

DER ALTE WESTEN





2018-02-27

Der alte Westen

            Die Schafe sind schmutzig. Die Wolle dreckig grau. Die Hinterteile dunkelgrün 
wie Moos oder schwarz. Die Schafe sind sehr still. Die Enten und Gänse sind auch 
sehr still. Es regnet.
            Wenn wir absaufen, saufen wir von hinten ab, sagte die alte 
Frau Abraham vor vielen Jahren. Und bis das geschieht, stricken 
alle an einem Vorhang, der den alten Westen vor der Zukunft 
schützt. Darauf trank die alte Frau Abraham einen Genever. Und lachte.            
Auch wenn sie schlecht inzwischen sieht, weiß sie, dass die Wiesen und Äcker
 Jahr für Jahr nasser werden. Dass ihre Nachbarn die Gräben um die 
Felder immer breiter ziehen, dass sie immer mehr Furchen quer 
durch das Land baggern, damit das Wasser abfließen kann. Sie weiß um die Mühe, 
die viele Arbeit. Auf den Feldern steht der Regen. Das Grundwasser steigt. 
Die Deiche schützen vor dem Meer, aber nicht vor dem Himmelswasser, 
das nicht mehr abfließen kann. Einige Bauern baggern große Seen in der 
Mitte ihrer Felder aus. Andere ziehen noch mehr Gräben. Das Gras 
verschimmelt. Das Wintergetreide ersäuft. Die Grachten laufen über. 
Das Himmelswasser bringt Unglück. Die Wiesen und Felder sind so nass, 
dass kein Traktor auffahren, keine Gülle weggebracht werden kann.
            Den alten Westen, sagt Frau Abraham und schenkt Oude Genever nach, 
den alten Westen gibt es so wenig, wie unsere alten Niederlanden 
je wieder zum Leben zu erwecken sind. Es gibt ja nicht einmal mehr die 
Freiheit der Fischer. Nur Quoten. Und Sklavenarbeit. Der Versuch alle Dinge 
und jeden Menschen gut zu regeln, wird scheitern. Ist schon gescheitert, 
auch wenn unser Land in manchen Provinzen immer noch putzig aussieht. 
Dieser Hof und meine Käserei sind das beste Beispiel. Alles kaputt und vorbei, 
daran ändert auch das staatlich geförderte Reetdach nichts.
            Die alte Frau Abraham schaut aus ihrem Küchenfenster. Der Hof ist 
aufgeräumt. Fast alle Ställe sind leer. Käse macht sie nur noch für sich und 
die Familie. Die lebt in Groningen. Der Sohn arbeitet in Brüssel. Eine 
Tochter in Schweden. Niemand in Fryslân. Das Schild vorne an der Straße 
hat sie weggenommen: Boerenkaas. Geitenkaas. Ziegen gibt es nur noch sechs. 
Die Kühe sind verkauft, die Schweine laufen beim Nachbarn. Wiesen und 
Äcker hat sie für kleines Geld verpachtet. Heimlich brennt Frau Abraham 
Genever, so heimlich, dass alle Nachbarn ihre Bestellungen aufgeben. 
Frau Abraham hat genug zu tun, aber an manchen Tagen muss sie sich 
Mühe geben, nicht darüber traurig zu sein, dass es mit dem Leben auf den 
Höfen vorbei ist, dass alle Nachbarn jedes Jahr wieder ein Stück Bauernarbeit 
aufgeben. Auch im Nebenerwerb. Dass nur wenige die Umstellung auf die 
neuen Zeiten und Fördertöpfe schafften. Immer mehr verlassen die Dörfer. 
Früher, sagt Frau Abraham und gießt wieder Genever in die Gläser, 
früher standen die Felder voller Tulpen und dann folgten Lauch, Kohl und 
Kartoffeln. Nein, früher war nichts besser, aber wir haben das Land bestellt, 
vom Ertrag gelebt. Ja, immer gerackert, aber wir hatten unser eigenes Leben, 
unseren eigenen Kopf. Wir haben nicht nach Den Haag geschaut. Wir waren 
stolz auf uns, auch wenn wir Torf stechen mussten, um die Stube warm zu 
bekommen. Es waren andere Zeiten. Tulpen und Kartoffeln, Lauch und Kohl, 
Käse und Fleisch. Der Genever. Und ja, es gab viele arme Leute. Aber wir waren 
alle miteinander verbunden, auch durch den Glauben, die Regeln.
            Die alte Frau Abraham kann die Welt erklären und weiß doch nicht, 
wie all der Wandel entstanden ist und warum der Leerdammer Käse in China 
billiger ist als im besten friesischen Coop in Anjum. Warum dieser Schnittkäse 
überhaupt erfunden wurde. Gouda ist niederländisch. Leerdammer ist eine 
überflüssige Erfindung, sagt die alte Frau Abraham. Eine von den Erfindungen, 
die uns das Genick brechen.
            Und warum will niemand mehr den echten Geitenkaas essen? Warum 
verschwand die friesische Milch als Marke? Warum werden immer mehr Straßen 
gebaut, die niemand braucht. Auch nicht die breiteren Gehwege, die Parkplätze. 
Wir werden doch immer weniger und nicht mehr, sagt die alte Frau Abraham und 
dann trinken wir noch ein Glas Genever, diesmal mit Würfelzucker auf dem Löffel. 
Das kleine weiße Viereck saugt sich voll, wird durchsichtig und dann lutschen wir 
Genever. In der Küche. Auf den Feldern, jenseits vom leeren Hof, stehen die 
schmutzigen Schafe auf den nassen Wiesen. Neben den Schwänen, Reihern
 und Gänsen. Alle sind sehr still.
            Wir saufen von hinten ab, sagt Frau Abraham. Eure Merkel strickt auch 
an diesem Vorhang, der den alten Westen schützen soll. Wird nichts nützen. 
Frau Abraham ist eine geborene Goldstücker. Aber das sind andere Geschichten 
aus anderen Zeiten und die erzählt die alte Frau Abraham nicht mehr.

© J. Monika Walther