Sonntag, 1. Februar 2015

Humaldawei: Im Fernsehen gibt es weder eine Himmelsdecke noch ...

Humaldawei: Im Fernsehen gibt es weder eine Himmelsdecke noch ...: Fryslân im Januar 2015             Der schiefergraue Himmel liegt wie eine weiche Decke über Feldern und Weiden. Über den Schafen...

Im Fernsehen gibt es weder eine Himmelsdecke noch Gottesaugen ...




Fryslân im Januar 2015

            Der schiefergraue Himmel liegt wie eine weiche Decke über Feldern und Weiden. Über den Schafen mit ihrem zotteligen und schmutzigen Fell. Den Gänsen und schneeweißen Schwänen. Über den Grachten und Kanälen mit ihrer hauchdünnen Eisschicht. An den Rohrdommeln glitzern Kristalle. Fette Wintermöwen streifen die graue Decke. Sie kommen von der See, schweben über dem Hafen, in dem sich nichts bewegt. Keine Touristen, keine Pommes, keine Fischreste von den Trawlern. Die Restaurants geschlossen. Wenig Fisch gibt es zu kaufen. In den Räuchereien qualmen keine Öfen. Auch die kleinen Kutter liegen im Hafen: Garnelen, ein paar Schollen und Schaars, Hering, kaum frisch geräucherter Aal. Reiher und Kraniche schweben über die Bäche, stellen sich bewegungslos in Position.
            In der blaugrauen Decke reißen Löcher auf, hellgelb beleuchtet. Gottesaugen. Dann wird die Luft sanft und weiß. Nebelwolken verhüllen Schiffe und Häuser, legen sich übers Wasser und die Felder. Still wird es. Kein Mensch ist auf den Feldern, nur die zotteligen Schafe, Enten, Gänse. Alle, die dageblieben und nicht in den Süden geflogen sind.

 


            Leise verdämmert der Tag, Möwenschwärme überm Haus; sanftes Pfeifen ist zu hören: Ein Sturm zieht über dem Meer auf. In der Nacht fegt er brüllend über die Felder, schüttelt an Bäumen und Türen, für eine Sekunde wird es still, bis Graupel aufs Dach schlägt. Auftakt und Trommelwirbel, dann Eisregen. Straßen und Dächer glänzen. Aus dem Regen wird Schnee. Große Flocken. Am Morgen ist alles in einem weißen Pelz eingehüllt. Keine scharfen Konturen mehr, keine Autos, die schnell fahren. Keine Enten, die auffliegen, nur Spuren der hüpfenden Amseln, Nachbars Katze, erste Schritte.
            Im Fernsehen gibt es weder eine Himmelsdecke noch Gottesaugen; im Fernsehen ist abgebildet Krieg, Krawall, Mord, Totschlag, Pegida, Legida, Mügida, vernichtete afrikanische Dörfer. Eine nigerianische Millionenstadt wird angegriffen. Gräueltaten jeder unvorstellbaren Art, Lügen, Machenschaften von Politik und Kapital, Kriegswünsche, Kriegsvorbereitungen. Krieg ist wieder vorstellbar. Krieg kann wieder geschehen. Mobilmachung. Die Wörter sind da. Gesagt, geschrieben, diskutiert in den Fernsehrunden. Da wird vom Krieg geschwätzt wie sonst von Botox und Obdachlosigkeit. Alles eins. Hier, nicht mehr nur anderswo. Ich gewöhne mich wieder daran und weiß, es gilt immer noch der Satz: Jede Generation erlebt einen Krieg. In das Ende des 2. Weltkrieges wurde ich hineingeboren. In eine zerstörte Familie, geflüchtet, emigriert, versteckt, tot. Im Garten war noch Sterlingsilber vergraben. Die Welt war zerfallen.
            Die Werte einer zivilen Gesellschaft sind behauptet seit Napoleon, seit 1848, aber dieser Schatz war damals nicht gewollt. Von der faschistischen Gesellschaft. Anders ist es heute nicht: Die Werte müssen behauptet werden. Kultur kann nicht relativiert werden. Der Islam gehört nicht zu Deutschland, aber alle Bürger gleich welchen Glaubens, die Kippa ist dann so komisch wie das Kopftuch und katholische und protestantische Bräuche. Oder wie Atheisten, die nichts glauben und feiern, das ist mir komisch. Jeder Bürger, gleich welchen Glaubens, verdient Achtung und Schutz aller, solange er sich im Rahmen unseres Rechtssystems und unserer Staatsform bewegt. Für diese Gesellschaft, für diese Werte müssen wir einstehen. Dazu müssen wir unsere Kultur weder relativieren noch konservieren. Oder wollen wir in einer antidemokratischen Gesellschaft leben, wenngleich wirtschaftlich erfolgreich? Dieses Modell wird in der Türkei, in Russland, in China und in immer mehr Staaten gelebt. Werte müssen wir uns als Ziel setzen, das dürfen wir, weil wir diskutieren, Konflikte demokratisch austragen können.
Der späte Kapitalismus mit seinem Wohlstand ist nicht anständig, ist schwerfällig, verführt und lässt zu viele Menschen links liegen. Auch in Deutschland. Und noch ist der Besitz von Kapital nicht an Verantwortung gebunden, werden nur teilweise Manager und Kapitalisten zur Verantwortung gezogen, noch immer ist Bankenretten die erste Reaktion der Politik.
            Im Fernsehen wird im Januar 2015 viel Erinnerungskultur (Wörter gibt es) betrieben: siebzig Jahre Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. So viele Worte, auch klare und politisch gute und gut Gemeintes, und obwohl jeden Abend der Diktator Hitler zu sehen und zu hören ist, wissen immer weniger jüngere Menschen um die Zusammenhänge und das Leid und die unmenschlichen Schandtaten der Industrie, nahezu aller Betriebe und auch jeder Bauernhof hatte seinen Zwangsarbeiter. Wurden sie angemessen entschädigt? Bis heute nicht. Nun sterben sie, ohne dass sie bekommen, was ihnen zusteht. Und nicht der Staat muss bezahlen, sondern die Nachfolger der Betriebe wie Siemens, die in Ravensbrück sich der Häftlinge bedienten. Nicht nur dort.

 


Was sagt die alte Frau Abraham, die vorsichtig ihre Füße in den Schnee setzt, die zwei Lager überlebte: „Jede Lawine fängt mit einem Schneeball an. Es war nicht Hitler, es waren die Nachbarn. Sie wollten alle teilhaben an einem großen Raubzug, an etwas ganz Großem.“ Nichts anderes wollen die jungen Leute, die aus europäischen Ländern in den Krieg ziehen, im Namen des Islam. Ihre Entscheidung, ihre Verantwortung. In Deutschland gelten andere Gesetze und Werte.

© Text und Fotos: J. Monika Walther