Dienstag, 18. Februar 2014

... mit flatternden Haaren am See und Fluss zu stehen ...








2014-02-13

      Im Februar in Fryslân. Im Humaldawei. Draußen Regen und
Sturm. Drinnen: Aufräumen. 
Und noch einmal die Idee: 
Emily Dickinson hätte der Droste geschrieben, vom neuenglischen Amherst ins Rüschhaus zu Münster oder
nach Meersburg am Bodensee - aber es gab damals noch kein Internet, keine Mails. Kein
Twittern, Bloggen und Skypen. Wer weiß, vielleicht hätten die beiden des Morgens mit einer SMS
einander bestärkt, keine Widerworte zu geben, still zu schreiben und ihre langen Gedankenstriche zu ziehen
für alles, was sie den gesellschaftlichen Verhältnissen widerstehend dachten und des Nachts ihre wilden
Gedanken geteilt und wie satt sie es hatten, um gemocht zu werden, Beachtung zu erhaschen, immer
wieder die braven Mädchen zu geben. Nicht zu lieben und mit flatternden Haaren am See und Fluss zu
stehen, stattdessen leise in ihren Räumen zu leben. Ohne kratzenden Lärm zu schreiben.
        
Wie wäre das heute? Ohne Mails, ohne Handy, ohne Facebook, ohne die ständige Teilnahme am Leben vieler und das Wissen darum, was im fernsten Russland, Grönland, Sizilien geschieht? Wenn Briefe Monate, Woche brauchten, um uns zu erreichen und während wir dann lesen, dass die Überfahrt nach Amerika gelang, ist der Schreiber längst in neue Gefahren verwickelt und die Liebste mit sonst wem verheiratet. Widerspruch sinnlos. Vielleicht steht er oder sie Jahre später wieder in seinem mecklenburgischen oder Hunsrücker Dorf, ohne ein Fernsehteam hinter den Büschen und staunt über die Veränderungen und auch darüber, wer auf die Rückkehr gehofft hatte und wer nicht. 
Wie wäre das, wenn eine Reise von Leipzig nach Hamburg wie nach dem Krieg mit dem Zug zwei bis drei Tage dauerte. Eine Fahrt vom Bodensee nach Münster war mit vier Tagen damals im Vergleich zu den Postkutschenfahrten der Droste zwischen Rüschhaus und dem Fürstenhäuschen in Meersburg schnell. Anstrengend war es nur nach dem Krieg ohne die entsprechenden Stempel für die Aus- und Einreisen in und aus den jeweiligen Besatzungszonen nicht kontrolliert zu werden, weder in den Zügen noch auf den Bahnhöfen.

Dies könnte Emily Dickinson der Droste schreiben: 
    
Wie die Hölle will.
Jetzt und immer.
Ein ländlicher Leichenschmaus.
Mit Scheu und Staunen
streiche ich über mein Laken
gerade die Matratze
- das Kopfkissen klein und rund.
Tapferkeit muss ich ablegen -
lieg ich bis zum Gerichtstag
zum gelben Sonnenlärm verwahrt.
Sitz ich und schreibe – bündle -
vernähe meine Gedichte.
Da lacht der Wind früh und mittags -

Mein Scharfsinn scheitert in Amherst.
Am Dach aus Stein am Baum aus Moos
lautlos an reifgrauen Echos und
marmornen Stapeln aus Zeit
an den versiegelten Polaren.
Da lacht der Wind am Himmel und
fromm vergeht das Jahr und ich – und ich
geh hin und her und im Kreis und in mir -
steif wenn Blicke durch die Ritzen suchen
Zart wenn andere mich erfinden.
Aber – mein Nest ist leer und ich -
entflogen. Mir -
Februar in Fryslân. Im Humaldawei. Die Schafe zeigen ihre roten, grünen und gelben Punkte, die ihnen auf die dicke Wolle gemalt wurden. Die Farben bestimmen ihren weiteren Lebensverlauf. Aber kein Schaf schaut sich oder den anderen dauernd auf den Arsch, nein, die Mäuler sind im nassen Gras oder sie liegen im Sturm, geschickt verteilt, in den Bodenwellen oder auf den geschützten Deichseiten. Die Kanäle, Bäche und Grachten sind vollgelaufen; auf den Feldern und Äckern stehen Wasserlachen. Enten fliegen Linien im schiefergrauen Himmel. Sie müssen nicht mehr weg. Es war richtig zu bleiben. Sie werden die besten Brutplätze finden. Die Weißwangengänse sitzen zu Hunderten in großen Kreisen auf den Wiesen, fliegen auf, suchen einen neuen Platz. Sehr große Schwärme, sehr viele. Gänse. Enten. Kraniche und Fischreiher stehen an den Bachrändern für sich. Die Schwanenpaare haben eigene Pläne.
            Nach dem Sturm wird der Himmel weit und leuchtet in Blau und einem warmen gelben Licht. Die Wolken sind weit weg geflogen. Ich stehe an der alten Schleuse bei den Dokkumer Nieuwe Zijlen und bin eine Sekunde glücklich.

© J. Monika Walther
www.jmonikawalther.eu
 



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