Sonntag, 6. Januar 2013

Der Kanzlerin glänzend Silvestergewand, frisches Biedermeier und Bitterballjes






Deutscher Schnittmusterbogen. Niederländisches Silvester

            Frau Merkel trug zu ihrer Ansprache im Fernsehen ein sehr schönes glänzendes Jackett. Auch alles, was sie sagte, war fein gesponnen, sogar der etwas langweilige Schluss, da musste eben das Nötigste über den Ernst der Lage ausgesprochen werden. Aber sonst war ihre Rede voller Wärme und Verständnis. Es war Jahresende, 31.12.2012. In nichts übertrieb sie, weder im Guten noch im Schlechten, sie lobte ihre Bürger, sie bat wie eine Staatspräsidentin um Zusammenhalt; wenn wir alle bei ihr und um sie blieben, und uns an den Händen hielten, würde alles gut. Sie erklärte die Lage, tröstete und spornte an, forderte aber Einsicht in das Notwendige, da wir noch nicht die Krise überwunden hätten. Sie vermied das Wort „alternativlos“, aber das hätte auch nicht zu ihrem glänzenden Jackett gepasst, da ja zeigte, dass es zu all den vielen Jacketts, die sie trägt immer noch ein anderes, eine Alternative, möglich ist.



            Alles wird gut werden, sagte Angela Merkel auf die ihr eigene protestantische Art, aber weil eben Jahresende war, glänzte ihr schönes Jackett, lächelte sie und entwarf sie ein hübsch zugeschnittenes Jahr 2013. Deutsches Biedermeier im besten Sinn: vernünftig und einsichtig sollen wir Bürger sein, beruhigt im Privaten leben (was wir die letzten Jahre ja taten),  - und doch zusammenhalten, aber an diesem Punkt gerät wie im echten deutschen Biedermeier das schön gerädelte Schnittmuster, der Entwurf für 2013 durcheinander: Ja, Deutsche lieben Sicherheit und Sauberkeit, das geht über Vieles. Wir sind nicht britisch trunken mit eigenem Kopf und nicht wie die Franzosen revolutionär bei allem, bereit zur Revolte, um dann die Autorität zu akzeptieren, aber auch nicht so unabhängig nordisch wie die skandinavischen Länder; wir wollen es schon ordentlich erklärt bekommen wie es weiter geht. Aber zunehmend machen Deutsche sich auch in alle geistigen Himmelsrichtungen ihre eigenen Gedanken über die sichtbar werdenden Probleme. So war es auch damals im 19. Jahrhundert: Vormärz und Biedermeier, Aufstände, neue Bündnisse und die Suche nach einer sicheren schönen Seite des Lebens.
            Wir mögen unsere Angela Merkel über alle Parteigrenzen hinweg, sie ist unser Staatsoberhaupt, aber wir können nicht alle diese hübschen Jacketts tragen, die Fingerspitzen aneinanderlegen und uns miteinander beruhigen. Wir sind auch beunruhigt und bleiben das, trotz der wunderbaren deutschen Schnittmusterbogen, die Adenauer, Heuss zeichneten, Ehrhardt und – ja Willi Brandt, der nahm aufs neue Maß und Helmut Schmidt ist bis heute einer, der uns alle Zusammenhänge erklärt. Mit Zigarette und weit größerer Komplexität und Lakonie als es Frau Merkel mit den aufeinander gelegten Fingerspitzen möglich ist. Aber er kann ja auch reden wie er will.


Wir sahen und hörten die gesamtdeutsche Silvesteransprache unserer Kanzlerin in den Niederlanden. Im Humaldawei. Zuvor fuhren wir kreuz und quer um die Lauwerzee, schauten Weißwangengänse, Kraniche (Flamingos entdeckten wir keine, aber ein ganzes Feld mit Schwänen, Hunderte). Wir standen am Nordmeer vor den Deichen, in den Häfen. Wir aßen Fritten, kauften Aale und Schaars in Zoutkamp.
            Vor der Aalräucherei lag der Kutter und die Beiboote des Fischers, immer wieder schaute er von drinnen nach draußen, aufs Wasser, zu seinen Booten; immer wieder kamen Leute kauften Flundern, Tongs, Aale (schmale kleine und fein geräucherte Aale), geräucherte rode Pons, zwei Männer tranken Biere aus Flaschen, redeten mit den Frauen, Mädchen, die im Laden arbeiteten.
            Schaars sehen aus wie sehr kleine Schollen und sind etwas weniger bunt. Dezent graufarben. Die obere Seite viel rauer. Kliesche ist der deutsche Name. Der Fischer und seine Tochter lächelten, als wir die Schaars kauften. Beifang. Fremde wollen so etwas nicht, aber wir saßen ja auch da und aßen Fritten, schauten über den Hafen, den ich noch nie so voller Fischfänger, Kutter, Seenotboote, Schnellboote der Wasserschutzpolizei gesehen hatten; nur wenige Segler. Silvester und der tobende Sturm, der heftige Regen.
            Kurz vor acht Uhr verschluckten wir uns noch an  weißgepuderten Olliebollies, aßen Heringshappen, Gurken und Bitterballjes, die zum Jahresabschied von der Wirtin ausgegeben wurden. Große Platten, dazu kleine Bierchen. Punkt zwanzig Uhr schlossen überall (außer in den großen Städten) die Kneipen und Restaurants. Offiziell. Alle gingen nach Hause, aber manche der kleinen Kneipen in den Dörfern ließen ihre Gäste durch die Hintertür wieder hinein. 

            Im Humaldawei wurde seit 24 Stunden geböllert, schwere Kanonenschläge, der Sturm komponierte daraus ein schweres Donnern, so muss 1945 die näher kommende Front an der Oder geklungen haben, der Kampf um die Seelower Höhen vor Berlin. Das dachte ich und auch, warum denke ich immer wieder so etwas. Das hört nie auf, da läuft immer ein zweiter Film in Herz und Kopf.
           



Dann wurden die Schaars gebraten, draußen auf dem Grill, im Regen. Nachbarn rundum winkten und lachten. Im deutschen Fernsehen Silvesterstadl. Oh nein, im niederländischen TV wie immer nichts Glattes: 

eine runde Moderatorin, ein alter Sänger, ein knitteriger Witzemacher, strubbelige Jungs, kunterbunt sowieso. Und wir hörten einen Holzschuhtanz, Janis Joplin, Leonard Cohen, die Bartoli, die Callas. Ein neues Jahr. 2013. Die Raketen über dem Dorf verwehten im Sturm. Überall wurden große Feuer angezündet. 2013.

© J. Monika Walther

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