Freitag, 21. September 2012

Café Fryslân und dreitausendvierhundert vor Christus

bis zum Horizont und hinter ihm geht er weiter bis zun nächsten




Das Café Fryslân steht in Oostrum. Eastrum (auf friesisch) gehört genauso wie Ee zur Gemeinde Dongeradeel. 200 Menschen leben dort. Alles, was ich seit dreißig Jahren wusste, war - dass Oostrum auf dem Weg nach Dokkum liegt, dass das halbe Dorf, die Wiesen und der kleine Anger im Ort im Winter unter Wasser stehen, dass auf der einen Seite vor dem Dorf eine alte Ziegelei zerfällt und auf der anderen Seite ein Bowlingcenter immer größer wird, dass ich früher, vor dreißig Jahren, den Schafscherern zuschaute, den Arbeitern in der Zieglei, sah wie das Bowlingcenter entstand, wie die ersten Touristen mit Boot oder Auto von der Zuider See herkamen und im damals kleinen Hafen an der Laauwerzee die Fischkutter bestaunten, deren Fischer einen Plastiksack oder einen Korb voll Schollen packten und für diese zwanzig Schollen, Flundern oder Knurrhähne sechs Gulden nahmen oder auch weniger.




Oostrum, das war auch immer die Kneipe, das Fryslân Café. Und früher saßen da Fischer und Landarbeiter, Bauern, selten Touristen und wenn dann die aus dem Ruhrgebiet, die sich eines der kaputten kleinen Huisjes gekauft hatten für wenig Gulden und sommerlang reparierten, bis sie endlich wussten, dass diese Landschaft nicht die Ihre war. Getrunken wurden Boerenjongen, also Rosinen und Zucker aufgegossen mit Genever. Und immer jonge oder oude Genever. Bier. Es wurde viel getrunken, sehr viel mehr als heute. Die wechselnden Wirtspaare stellten Käsewürfel und Matjeshappen mit Gurke hin, es gab Bitterballen zu bestellen und Tostis. Die Hoffnungen der Wirtspaare auf Verdienst erfüllten sich selten. Erst als eine fröhliche ältere Frau mit einer kratzigen Stimme und einem herrlichen Lachen das Kneipenhaus kaufte, renovierte, einen großen neuen Tresen und Ofen hineinsetzen ließ, Dart und Spielautomaten hinstellte, war der Wirtswanderung ein Ende.

einwerfen, klickern, rattern, drehen, ein Bier und - gewinnen 

Gerne war ich dort, auch wenn nach und nach sich das Meiste änderte. Heute bewirtschaftet ein freundliches junges Paar das Café Fryslân, der Mann in Arbeit, die Frau in der Kneipe. Dartclub und Kartenspieler kommen. Und ich gewann in diesen Ferien vierzig Euro am Spielautomaten (niederländische Spielautomaten müssen mehr Gewinne auswerfen als in der BRD und sie sind moralische Anstalten, die alle zehn Minuten das Spiel stoppen und  anzeigen, wie lange man spielt, wie viel Geld eingeworfen, verloren wurde).

 



Inzwischen weiß ich nun mehr über Oostrum: dass es als Warft einige Jahrhunderte vor Beginn unserer Zeitrechnung zwischen den damaligen Meeresarmen entstand. Die zum Teil um 1900 abgetragene Terpeoder Warft ragte viereinhalb Meter hoch über dem Meeresspiegel. Der Wohnhügel hat eine Kreisform mit Ringstraße. Auf dem südöstlichen Teil der alten Terpe stand Rinthjemastate, ein alter Herrensitz. Ich weiß nun auch, dass die alte Dorfkirche aus dem 13. Jahrhundert stammt und ursprünglich nach dem Heiligen Nikolaus benannt wurde. Die Ziegelei am Grootdiep errichtete 1873 ein Jan Helder, der Schornstein misst 35 Meter. Und im 19. Jahrhundert wanderten mehr als zehn Oostrumer, junge Männer und Dienstmägde, nach Übersee aus. Und ich weiß, weil ich die Grabungen mitbekommen hatte, dass 2006 Überreste der Trichterbecherkultur gefunden wurden; die archäologischen Untersuchen ergaben, dass die Reste dieser Siedlung aus der Zeit von dreitausendvierhundert vor Christus stammen müssen. So früh war also dieses Oostrum bewohnt, damals nah am Meer, zwischen Wasserarmen. An den Grachten zwischen Nordmeer und Zuiderzee. Ich dachte, es ist schön von der Geschichte und den Geschichten im Kleinen zu erfahren, zu hören. Jenseits der vielen Kriege. Aber die Kriege waren eben auch in den Dörfern, Religionskriege, Landkriege, spanische Soldaten und nahe bei Ee blieb ein napoleonischer Soldat in Tibma und baute einen Hof auf und schon bin ich wieder in den Jahrhunderten verschwunden, denn die Bauerschaft Die Tibben ist aus dem achten Jahrhundert. Und was ich nun auch weiß, ist, dass Humaldawei 1885 gebaut wurde und zu den nationalen Denkmälern von Ee gehört. So viel Geschichte im Kleinen und Großen überall.

© J. Monika Walther

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