Wolkenschafe und Osterlämmer
Pünktlich zum Frühjahrsbeginn staksen die neugeborenen
Lämmer über die Wiesen, liegen fotogen neben ihren noch in dicker Winterwolle
verpackten Müttern. Die Farben haben gewechselt, später als in Westfalen: Aus
dem gefrorenen Blaugrau am Himmel und über den Feldern ist ein Schimmern
geworden. Hellgrün, hellblau. Die lehmige Erde ockerfarben, nicht mehr schwarz.
Osterglocken und Narzissen blühen an den Straßenrändern und in den Gärten.
Weiße und gelbe Sternanemonen wachsen in den Gräben. Das Wasser der Grachten
und Flüsse fließt nicht mehr braun und schwerfällig, sondern mit Wellenschlag
und Himmelsbildern. Schwäne, Gänse und Enten sind wieder da, zu Hunderten
besetzen sie die saftigsten Wiesen. Die Rasen vor den Häusern werden gemäht,
Bäume beschnitten.
Die ersten Fischbuden machen ihre
Klappen auf, stellen Tische und Stühle hin. Die Fähnchen flattern bunt. In der
Aalräucherei im Zoutkamper Hafen gibt es frische Krabben und Schollen, frisch
getrocknete Schaars, Aale, ein großer Butt liegt im Eis und Klieschen. Keine
Filets. Die Fische werden an ihren Gräten gegessen, mit Butter und Zitrone
beträufelt.
Hollands Plattfische sind mehr
als platte Fische: Seezungen, Flundern, Schollen, Rotzungen, Klieschen,
Hundszungen, Butt; da gibt es noch eine Welt zwischen Tradition und Moderne.
Hollands Baumkurren-Kutter mit ihren hoch aufragenden Bäumen, mit den scharf
geschnittenen Rümpfen, vorne höher als hinten, sehen aus, als wollten sie den
Himmel stürmen. Wenn es um den Plattfisch geht, gehören die niederländischen
Baumkurrenfischer inzwischen zu den Umweltschützern der Meere. Obwohl die
meisten der 570 Arten (eingeteilt in elf Familien) Plattfische von Norwegen bis
Portugal verbreitet sind, fischt die niederländische Fangflotte hauptsächlich
in der Nordsee: Doggerbank und Deutsche Bucht. Die Auktionen sind in Ijmuiden,
Scheveningen, Den Helder zu besuchen, die größten in Urk. Bieter gibt es viele
und gutes Geld wird verdient mit den Kisten voller platter geeister Fische.
Verarbeitet werden zu See und an Land die Plattfische sehr geschickt und
einfallsreich, in Urk von singenden Fischern, denn fast alle sind im
Kirchenchor.
Die größten
Krabbenauktionen der Niederlande finden an der Lauwerszee statt. Lauwersoog ist
der Heimathafen vieler Fangschiffe, auch aus Urk, Scheveningen, Ijmuiden.
Emden, Cuxhaven. Der Plattfischfang wird meist per LKW zu den Auktionen
weitertransportiert. Seit der Absperrung der Lauwerszee 1969 verloren die
Fischauktionen in Zoutkamp und bei den Dokkumer Nieuwe Zijlen von einem Tag zum
anderen ihre Wichtigkeit und es dauerte viele Jahre, bis sich wieder Geschäfte
und Tourismus entwickelten: Kleine Werften, Bootsanleger, Restaurants,
Räuchereien.
Im Frühjahr sind die Wolkendecken
aufgerissen und das Himmelskino Fryslân läuft von morgens bis in die
Dunkelheit: breite Wolkenberge, Wolkentürme, verschobene Perspektiven, in die
Ewigkeit gleitende Wolkenschafe, hüpfende Weißlämmchen. Alles vor blauer Farbe,
abends dann das Kino der rosaroten und blauroten Gefühle. Pazifik. Morgens
dahinsegelnde Wolkenschiffe, die immer mächtiger werden, ganze Flotten füllen
den Himmel. Ich schaue gerne zu, an der Lauwerszee, in den Häfen, dann fahre
ich zurück in den Humaldawei, schließe die Haustür auf, gehe hinein und stehe
vor diesen Bildern: Eine Fotografie aus Leipzig von 1947, Trümmer. So habe ich
meine Geburtsstadt kennengelernt. Ruinen, Granateinschläge in den schwarzen
Häuserwänden, aufgeschichtete Backsteine am Straßenrand. Daneben hängt ein Bild
aus Ostberlin von 1952. Alles ist grau und dunkel, ein Junge hüpft auf der
hohen Bordsteinkante, ein einziges Auto steht am Ende der Straße, ein Mädchen
mit Zöpfen und einer Milchkanne läuft in einen Kellereingang. So war das, als
ich sieben Jahre alt war. Milch wurde mit der Kanne geholt, die Nudeln, Reis,
Mehl, Zucker lagerten in Schubladen und wurden abgefüllt, die Butter von einem
Block abgeschnitten. Es gab eine Käsesorte. Die Leberwurst war dunkelgrau. So
war das. Die letzte dunkelgraue Leberwurst habe ich in Wustrow, während eines
Stipendiums im Künstlerdorf Schreyahn, gekauft. Ein Jahr war ich dort und
schrieb und schrieb und kaufte einmal die Woche diese Leberwurst. Zur
Erinnerung. Und einen Brocken Schweinebacke in Gelee. Meine Kindheit schmeckte
danach und nach runzeligen kleinen Äpfeln. Und dann nach Mostbirnen und
geräuchertem Speck. Wässrige Graupensuppen hasse ich bis heute. Graupensuppen,
Linsensuppen, dann folgten die Erbsensuppen. Ende der Fünfziger Jahre gab es
eine Knackwurst zu den Suppen. Oder eine Speckschwarte, in schmale Streifen
geschnitten.
© J. Monika Walther
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