Montag, 20. August 2012

sechstausend Gulden und die Knechtswohnung




Dieses Jahr Ferien in Humaldawei. Wie lange ist das her? Zwei, drei Wochen im Haus, in Fryslân.  Sehr lange ist das her. Damals, als ich nach der Diplomprüfung endlich mein Stipendium für das Prüfungssemester ausbezahlt bekam, brauchte ich das Geld dafür nicht mehr und von klein auf hatte ich mir eine Wiese gewünscht, eine eigene und darauf würde ich einen Eisenbahnwaggon stellen, und dann hätte ich ein Zuhause. So dachte und träumte ich, mit Blick auf den Säntis und nach der Flucht aus der DDR und nachdem alle Verwandten irgendwo in der Welt waren und die, die den Fehler gemacht hatten nach der Emigration nach Berlin und Leipzig zurück zu kehren und in der DDR zu bleiben, wurden weggesperrt. Wie oft wurde unserer Familie alles weggenommen? Erst von den Nazis, dann von den Kommunisten. Da waren kein Haus und kein Acker und nichts mehr. Aber ich würde eine Wiese kaufen.
            Ich kaufte keine Wiese, sondern für sechstausend Gulden die Knechtswohnung eines kleinen Bauernhofes im niederländischen Frysân, das war ein halbes Haus. Ein halbes ganzes Haus, nebenan Piet und Ans, in der Scheune 8 Kühe; so lebten sie, arm, keine Heizung, Petroleumöfen, der Wasserkran draußen, Kochen auf einem kleinen Gaskocher. Der Knecht war gestorben, das halbe ganze Haus war eine Ruine ohne alles. Ich kaufte es. Für die zweiten sechstausend ließ ich Wasser und Strom legen, Abflüsse graben und eine Dusche einbauen. Die nächsten Jahre verbrachte ich jedes Jahr viele Wochen im Haus, aber es dauerte noch lange, bis endlich einmal alles gerichtet wurde: der alte Ofen unter dem Kamin weg, Fliesen, die Wände verkleidet, neue Türen nach draußen, neue Fenster eingepasst. Eines war in allen Jahren Brauch, im Frühjahr strich Ans auf ihrer Seite alles und ich auf meiner, die dicke schwere Farbe, die im Dorf gemischt wurde, hielt alles zusammen.
            Die Kühe verschwanden, Piet radelte durchs Dorf und am Kanal entlang, manchmal fand er nicht mehr nach Hause. Dann starb er und Ans war froh aus dem Haus wegziehen zu können, sie holte immer noch das Wasser vom Kran. Die Hälfte wurde verkauft, das Meiste wurde anders, Zäune und Abgrenzungen gezogen, Hunde bellten, eine Spedition siedelte sich auf den Feldern hinter dem Haus an: Rotterdam Berlin Warschau und inzwischen noch weiter.
Das Dorf veränderte sich, wurde ärmer. Te koop te koop steht nun wieder an vielen Häusern. Wie damals in den Siebziger Jahren. Nein, verkaufen werde ich meine Wiese nicht, mein ganzes halbes Haus. Das Schreibhaus.
© Jay M. Walther

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