Sonntag, 1. Juli 2012

Seenebel Fryslân


so kann es auch in Fryslân sein ...

Seenebel

Ganz plötzlich änderte sich das Wetter. Die Temperatur sank, frischer Westwind schob feuchte Luft über das Meer, hin zur Insel. Tiefhängende Wolkenfetzen näherten sich. Innerhalb weniger Minuten hatte er die Insel umarmt, plötzlich und lautlos, Seenebel, der die Insel und das Meer in dichtes Grau hüllte.
Jemand ging über den Deich. Noch sah die Frau die roten Steine auf dem Weg. Rechts von ihr lagen Dünen, die wie erstarrte Wellentäler aussahen und der Pfad führte hinunter zum Watt. Es roch schal, fast faulig nach Tang, Geschmack von Salz lag auf den Lippen. Dunst legte sich über Mund und Nase. Die dunklen Konturen des Sanddorns, der an den Wiesenrändern wuchs, zeigten die Richtung zum Dorf. Die Frau horchte nach den Rufen der Möwen, nach dem Klang ihrer Schritte, alles war weit entfernt. Über dem Meer liegende Nebelbänke schoben sich vorwärts und langfingrige Schwaden krochen über Dünenränder, schwappten herüber, verschluckten den Deich und fahlschimmerndes Licht. Himmel und Erde wurden eins. Suchend streckte sie ihre Arme aus, griff ins Leere, ins Nichts.
Dieser Weg hier, hundert Mal gegangen, täuschte, Irrlichter ließen die Richtung verlieren. Hastig drehte die Frau sich um, aber auch hinter ihr war nur eine wabernde Wand. Das Nebelhorn dröhnte. Nach dem Ausklingen des letzten Tons breitete sich Stille aus.
Schweiß vermischte sich mit aus Poren kriechender Angst. Weiter, nur weiter, zum Dorf! Vorwärts hastend, stolperte sie. Nebel schwankte, hob und senkte sich.
Sie fiel, rutschte, sie richtete sich auf und schlitterte den Deich hinunter. Nasses Gras streifte ihr Gesicht. Wasser floss über ihre Schuhe und saugender Morast gab trügerischen Halt. Hilflos um sich rudernd, stürzte sie in einen der Entwässerungsgräben am Watt.
Aus dem Nichts erschienen Seevögel. Immer gierig, saßen sie dicht aneinander gedrängt im Gras. Bei dem platschenden Geräusch flogen sie hoch und stürzten steil wieder hinab, sie suchten mit hungrigen Schnäbeln.
So schnell, wie der Nebel gekommen war, so rasch zog er mit einem Male fort. Die Insel, das Meer tauchten auf, die Geräusche kamen zurück.
Eine dichte Wolke schrill kreischender Möwen warf noch lange ihren Schatten über den Deich.

Aus:

Nebengleis: Kurzprosa [Taschenbuch]

Monika Detering Nebengleis: Kurzprosa

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